HANDBALL inside | Ausgabe #59 5/2024

TITELSTORY

gendwelche DHB-Schriftstücke und IHF-Unterlagen unterschreiben, und ich fragte mich: Wieso sonst sollte man sich die Mühe machen, diese Do kumente rechtzeitig abzuschicken.“ Dennoch wurde der Sommer zu nächst komplett verplant. Auf den Urlaub mit den Eltern sollte ein Män nertrip nach Barcelona folgen – mit viel Sonne, Strand und alkoholfreien Kaltgetränken. Und dann die Sensation: Nur einen Monat nach seinem ersten Spiel für die Deutsche Nationalmannschaft wurde der junge Eisenacher in den Olympia Kader berufen! „In den ersten Tagen war das Olym pische Dorf für mich Gänsehaut pur! Überall, wo du rumläufst, siehst du Top-Athleten“, Grgic fühlte sich, als ob er eine Figur in einem Video-Spiel wäre – alles erschien komplett surreal. Die aus den Medien bekannt ge wordenen Automaten für Kondome und Lecktücher hat der junge Mann im Dorf kein einziges Mal gesehen. Überhaupt erfuhr er von dem Thema über Freunde aus Deutschland, die ihn eifrig nach diesen Vorrichtungen frag ten. „Das hätte in unserer Männer-WG auch nichts zu suchen.“ Diesmal war Kapitän Johannes Gol la der Zimmerpartner. Der Start lief für das DHB-Team fantastisch. Wie eine Mannschaft letztlich in einen sol chen Flow kommt? Direkt nach dem ersten Spiel soll den Männern klar gewesen sein, dass da was geht. „Das Halbfinale zu erreichen, war unser klar definiertes Ziel. Als wir Schweden ge schlagen haben, wussten wir, dass das auch funktionieren kann.“ Gislasons Männer meisterten tapfer die Vorrun de und zogen im Viertelfinale, nach ei ner hart erkämpften Verlängerung, an GÄNSEHAUT PUR

dem designierten Titelverteidiger und Gastgeber Frankreich vorbei. „Zuerst fand ich es sehr schade, dass wir für die Hauptrunde das Olympische Dorf verlassen mussten. In Lille waren wir in einem Leistungs zentrum untergebracht, in diesem Internat kam das internationale Flair zunächst nicht so auf.“ Doch kaum im Fußball-Stadion „Stade Pierre Mauroy“ angekommen, änderte der junge Mann seine Meinung. „Es war ein unbeschreibliches Gefühl.“ Dass 99 Prozent der Zuschauer lautstark Karabatic und Co. anfeuerten, fand Grgic elektrisierend, „es gibt nichts Geileres als so ein Pfeifkonzert“. Mit einer Wahnsinns-Aufholjagd und einer hart erkämpften Verlän gerung zogen die DHB-Männer in dieser historischen Kulisse an dem designierten Titelverteidiger und Gastgeber Frankreich vorbei. Dieser Sieg, da sind sich Experten, Fans und die Mannschaft selbst einig, bleibt für immer unvergessen. Doch viel Zeit für Jubel, Trubel, Heiterkeit blieb nicht. „Nur eineinhalb Tage später ging es weiter.“ Volle Konzen tration war wieder angesagt. Auch im Halbfinale war das DHB-Team nicht zu stoppen. Souverän wiesen Gisla sons Männer das spanische Team, die Bronzemedaillengewinner von Tokio 2020, in ihre Schranken – und das bereits zum zweiten Mal in die sem denkwürdigen Turnier. „Das einzig ätzende an Paris 2024 war, dass wir im Finale richtig auf den Sack bekommen haben“, resümiert Grgic. Sein Zimmerpartner, Kapitän Golla, soll so „brutal angepisst“ ge wesen sein, dass er das Endspiel am liebsten gleich nach dem Abpfiff noch einmal gespielt hätte. Für viele im Team war es bitter süß, eine so beeindruckende Tour mit einer Niederlage abzuschließen. Es

war bei der Sparkasse, als auf dem Display meines Handys eine unbe kannte Nummer erschien“, erzählt Grgic, „schon an der Stimme erkannte ich den Bundestrainer.“ Die Nummer des Isländers hat er daraufhin schnell abgespeichert. Was Gislason in dem kurzen Telefonat allerdings alles ge sagt hat, daran kann sich der 21-Jäh rige nur noch skizzenhaft erinnern. In dem ersten Gespräch ging es um die Zukunftsvorstellungen des jungen Mannes und darum, wo die Reise hin gehen könnte. „Da war Paris 2024 gar kein Thema.“ Die Einladung zum ersten DHB Lehrgang folgte bald. Als Zimmer kollege wurde der Debütant dem erfahrensten Spieler im Team, Andi Wolff, zugeteilt. Und auch jetzt machte sich das Greenhorn nicht in die Hosen. „Zum Glück hatten wir in unserem Zimmer kein Doppelbett, denn neben Andi hätte ich keinen Platz gehabt.“ Während des Lehrgangs soll es eine entspannte WG gewesen sein. „Andi schaute die meiste Zeit seine Serie auf dem Handy und war sehr freundlich zu mir.“ Am 12. Mai 2024, im Testspiel gegen Schweden, feierte Grgic dann sein Debüt. „Ich war unglaublich stolz und dachte nur, selbst mit diesem ei nen Länderspiel, wenn ich nie wie der eingeladen werden sollte, bin ich jetzt Nationalspieler.“ Dieses Prädikat gibt's nämlich dann für immer. Dass Olympia immer noch kein The ma ist, machte Gislason weiterhin klar. Grgic war komplett einverstanden, im merhin stand im Sommer auch noch seine Abschlussprüfung zum Bank kaufmann an. „Ich sollte im Herbst wieder zur Nationalmannschaft sto ßen, mit Blick auf die WM 2025.“ Zwischendurch gab es aber wohl klei ne Anzeichen, die dem 20-Jährigen verrieten, dass das Unmögliche doch nicht so abwegig ist. „Ich musste ir

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AUSGABE #59 5/2024

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