HANDBALL inside | Ausgabe #59 5/2024
ein Fremdkörper, ganz so, als wisse er nicht, was eigentlich seine Aufgabe in der Offensive sei. Diese taktische Ver lorenheit ist nicht ihm zuzuschreiben, sondern denjenigen, die für diese Po sition einem 21-Jährigen die Verant wortung übertragen haben. Ob der gelernte Halblinke Nikola Bilyk, der ebenfalls für die Schaltzentrale vor gesehen ist, die große Last der Spiel steuerung schultern kann? Es gibt nicht wenige Experten, die da recht skeptisch sind. Eine weitere Baustelle tut sich nach der Verpflichtung Wolffs auch mit der Torwartposition auf. Da Samir Bellah cene nicht dem Wunsch entsprach, den Club vorzeitig zu verlassen, hat der THW aktuell drei Keeper auf dem Gehaltszettel – und im Sommer 2025 kommt mit Gonzalo Pérez de Vargas ein weiterer Topverdiener, der bis 2029 unterschrieben hat. Da Wolff ebenfalls langfristig gebunden ist, er scheint es kaum sinnvoll, zwei Torhü ter auf Spitzenniveau zu bezahlen. Es erscheint nahe liegend, dass der THW versucht, den Spanier irgendwo an ders unterzubringen. Der Trainer und der Geschäftsfüh rer jedenfalls stehen unter Druck. Die Personalie Jicha stehe zur Debatte, schrieben die Kieler Nachrichten nach dem Desaster im Champions League Halbfinale. Nach Informationen von HANDBALL inside soll Weinstock dem Aufsichtsrat in der Tat vorge schlagen haben, das Duo Szilágyi/ Jicha freizustellen, erreichte dafür im Gremium aber nicht die vom ihm ge wünschte Einstimmigkeit. Weinstock wollte sich dazu nicht äu ßern: „Inhalte von Gremiensitzungen behandeln wir vertraulich und geben diese nicht an Dritte weiter.“ Nicht BAUSTELLE TOR
ausgeschlossen, dass bei diesem The ma auch finanzielle Aspekte eine Rolle spielten, Jichas Vertrag endet schließ lich erst im Sommer 2026. Aber wenn nicht alles täuscht, arbeiten Jicha und Szilágyi auf Bewährung. Die Kieler Zukunft des Duos hängt davon ab, ob der THW Kiel es schafft, wieder einen Platz in der Champions League zu ergattern. Das signalisierte der Aufsichtsratschef Weinstock bei der Saisoneröffnungspressekonferenz, als er Platz Zwei als Minimalziel aus rief. Bemerkenswert war, dass sein Trainer Jicha seinem Vorgesetzten öffentlich widersprach. Alle seien sich einig, dass der THW in die Champions League gehöre, sagte der Chefcoach den Kieler Nachrichten. „Nur wann das wieder passieren wird, bleibt abzu warten. Um das sofort und kontinuier lich umzusetzen, bräuchten wir noch mehr Qualität.“ Die Lage ist also verzwickt in Kiel. Der THW agiert inzwischen nicht mehr als Imperium, aber der Cäsar fordert, dass er weiterhin wie ein Imperium do miniert – obwohl er selbst wissen muss, dass die Sesterzen nicht ausreichen, um die besten Legionäre der Welt automa tisch nach Rom zu locken. Zugleich er klärt der Chef der Armee, die Stärke der Truppen reichten nicht mehr aus, um das Imperium zu erhalten. Wie sich der THW Kiel aus dieser Abwärtsspirale, in die er in den letzten Jahren geraten ist, befreien will, ist un klar. Man hätte gern gewusst, wie sich das Führungsteam des THW Kiel die sen komplizierten Weg vorstellt. Und ob der THW Kiel angesichts der gerin geren geldlichen Optionen womöglich das eigene Spielsystem in Frage stellt, das jahrzehntelang auf Weltklasse Shootern im Rückraum (Karabatic, Ji cha, Narcisse, Sagosen) beruhte. Aufsichtsratschef Weinstock und auch Geschäftsführer Szilágyi zogen
wart Niklas Landin im Sommer 2023 torpediert worden sei. Das hätte alle Planungen „komplett zerschossen“ und „durcheinandergewirbelt“. Dadurch, dass Landin die Option zog, vorzeitig nach Aalborg zu wechseln, und Sagosen kurzfristig in Trondheim unterschrieb, sei der THW in eine Situation geraten, „in der wir zwei große Spielerpersön lichkeiten, die die Basis unseres Kaders sein sollten, ersetzen mussten“. Tatsächlich trug der massive Qua litätsverlust auf der Torwartposition zur desaströsen Vorsaison bei – in der Rückserie rangierten die THW-Keeper bei den Fangquoten in der HBL ganz unten. Ganz unzweifelhaft hatte das Duo Filip Jicha und Viktor Szilágyi bei der Kaderpolitik zuletzt auch Pech, als etwa Torwart Vincent Gérard nicht einsatzfähig war. Zugleich sieht sich das Duo mit Vorwürfen konfrontiert, den Kader nicht rechtzeitig verjüngt zu haben. Dazu traf ihr Scouting nicht immer ins Schwarze. Zwar entwickelte sich Eric Johans son, den der THW Kiel im Sommer 2022 für 75.000 Euro Ablöse aus Elve rum als zweiten Mann hinter Sagosen holte, sehr gut. Die hohe Erwartung des THW-Aufsichtsratschefs Wein stock im Sommer 2023, der Schwede sei auf dem Weg zur Weltklasse oder sogar schon auf diesem Niveau („Ich glaube, wir haben den nächsten San der Sagosen schon: Eric Johansson“), konnte er freilich bisher nicht erfüllen. Enttäuschend ist bislang die Entwick lung seines Landsmanns Karl Wal linius, der im August 2022 für eine recht hohe Ablöse (245.000 Euro) aus Montpellier kam, um den verletzten Sagosen zu ersetzen. Die aktuell größte Baustelle im Kader des Rekordmeisters liegt in des auf Rückraum Mitte. Der junge Färinger Elias Ellefsen á Skipagøtu wirkte in seiner ersten Saison oft wie
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AUSGABE #59 5/2024
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